Carolin Lehrieder und der Sieg über die Zweifel

2018 schien die Profikarriere von Carolin Lehrieder ins Stock zu geraten. Sie beendete mehrere Rennen nicht. Weitere schlechte Wettkampfergebnisse hätten wohl eine Ende der Profilaufbahn bedeutet. Es folgten jedoch zwei starke Wettbewerbe. Viel hat sie jedoch gar nicht geändert.

Carolin Lehrieder
Carolin Lehrieder
Man darf nicht glauben, man macht Magic im Rennen. Ein Langdistanzrennen ist wie Mathematik, die Wettkampfleistung ist relativ genau vorhersehbar
Carolin Lehrieder

Der Sieg beim DATEV Challenge Roth 2019 ging an Lucy Charles-Barclay. Hinter ihr reihten sich mit Sarah Crowley und Daniela Bleymehl weitere Weltklasse-Athletinnen ein. Auf Rang fünf folgte Carolin Lehrieder, die nach dem Radfahren noch auf Rang drei gelegen hatte – mit Aussicht auf eine Podiumsplatzierung. Dafür fehlten am Ende zwar ein paar Minuten. Viel wichtiger als eine Podestplatzierung war für sie allerdings folgende Erkenntnis: „Ich habe gesehen: So viel Abstand ist da nicht, du bist konkurrenzfähig.“

Ein paar Wochen später hat Carolin dann den Ironman Italy gewonnen. Der Erfolg hatte eine deutlich größere Strahlkraft für Sponsoren und für die Öffentlichkeit als ihr fünfter Platz in Roth. Aber für sie, für ihren Kopf, war der fünfte Platz in Roth genauso wertvoll wie der Sieg in Italien. Das eine war ein persönlich wichtiger Erfolg. Das andere war aber vielleicht das bisher wichtigste Rennen ihrer Karriere.

Um das zu verstehen, muss man ein wenig zurückschauen.

Carolin hat 2013 den Ironman Frankfurt in ihrer Altersklasse gewonnen und ein paar Monate später bei den Weltmeisterschaften auf Hawaii Rang drei belegt. Anschließend wurde sie Profi. Es folgte der typische Weg mit einigen Aufs, aber auch Abs, den man als heranreifende*r Athlet*in auf der Langdistanz oftmals gehen muss, wenn man nicht unbedingt der Überflieger seiner Generation ist. Es gab den einen oder anderen Höhepunkt. Es gab aber auch Tiefpunkte, vor allem 2018. Carolin beendete mehrere Rennen nicht. Zweifel stellten sich ein. Doch dann folgte Ende 2018 Rang vier beim Ironman Italy und ein paar Monate später vor allem jener Platz fünf beim DATEV Challenge Roth 2019 in einem internationalen Spitzenfeld.

Als Sportler*in sagt man gerne, dass eine gute Platzierung zum richtigen Zeitpunkt kam. Es klingt dann oftmals wie eine Floskel. Für Carolin kamen die guten Platzierungen wohl wirklich zum richtigen Zeitpunkt. „Wenn man es über längere Sicht nicht auf die Kette bekommt, muss man sich irgendwann schon fragen, ob sich das finanziell noch lohnt“, sagt sie. Mit das meint Carolin das Leben als Profi-Triathletin.

Dass es sich lohnt, dass sie zu erweiterten Weltspitze zählt, zeigten jene beiden Rennen. Wenn man sie fragt, warum es plötzlich lief, sagt sie: „Ich habe einfach endlich das abgerufen, was ich kann.“ Sie agierte auf einmal im Wettkampf selbstbewusster, weil sie mehr Selbstbewusstsein aus dem Training mitnahm. „Man darf nicht glauben, man macht Magic im Rennen. Ein Langdistanzrennen ist wie Mathematik, die Wettkampfleistung ist relativ genau vorhersehbar“, sagt sie.

Den Aufwind hätte sie gerne mitgenommen in das Jahr 2020. Durch den Sieg in Italien Ende 2019 hatte sie sich bereits für die WM auf Hawaii qualifiziert. Doch dann kam die Corona-Pandemie – und nahm ihr das Momentum. „Die Welle, auf der ich geritten bin, ist gebrochen worden“, sagt sie. Aber Carolin hat für die kommende Saison trotzdem die gleiche luxuriöse Ausgangsposition wie für das Jahr 2020, es hat sich ja alles (hoffentlich) nur um zwölf Monate verschoben: „Ich versuche 2021 so aufzuziehen, wie ich mir 2020 vorgestellt habe.“

Carolin, die nie eine Profikarriere als Ziel hatte („Ich lebe plötzlich einen Traum, den ich nie geträumt habe“), kann viel dazu erzählen, wie wichtig weniger gute Jahre für die Entwicklung von Sportler*innen sind: „In guten Jahren lernt man gar nicht so viel. Richtig viel lernt man aus Rückschlägen und Hindernissen.“ Und sie kann viel dazu erzählen, wie wichtig solch ein Jahr wie 2020 für die Besinnung auf die Gründe des Sporttreibens  – und damit auch für die ganze Karriere - ist: „Wenn man Triathlon nur als Job sieht, geht das nicht lange gut. Der Spaß am Sport ist 2020 wieder mehr in den Fokus gerückt. Wenn man auch ohne anstehende Rennen freiwillig morgens um sieben Uhr ins Wasser springt, weiß man, dass man den Sport auch aus einem anderen Antrieb macht“, sagt sie.

Für sie hat es sich 2020 trotz allem irgendwie auch gelohnt, des Öfteren morgens um sieben Uhr ins Wasser zu springen. Sie hat drei Rennen absolvieren können, hat im September beim Ironman 70.3 im polnischen Gdynia Rang zwei belegt. Und so blickt sie zuversichtlich in die Zukunft: Podestplätze bei den deutschen Langdistanzrennen in Roth und Frankfurt und eine Top-Ten-Platzierung bei der WM auf Hawaii sind die Ziele für die kommenden Jahre.